Gendergerechtigkeit in der Wissenschaft

Naturmedizin 5/2022

Frauen veröffentlichen weniger als Männer

In der akademischen Medizin sind Frauen und Männer noch lange nicht gleichgestellt. Das
gilt insbesondere im Publikationsprozess. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt auch eine
Querschnittsstudie für Zeitschriften der Infektionsmedizin: Frauen sind hier deutlich
seltener als Letztautorinnen vertreten als Männer. Und: Der Anteil an Frauen unter
den Autor:innen steigt mit zunehmendem Frauen-Anteil bei den Herausgeber:innen.
Im medizinischen Wissenschaftsbetrieb sind Frauen noch immer unterrepräsentiert, obwohl sie mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Gesundheitswesen ausmachen. Als wichtigster Maßstab für die akademische Produktivität gilt die Publikationsleistung. Doch der so genannte Publikationsoutput zeigt deutliche genderspezifische Unterschiede: Frauen veröffentlichen weniger Artikel als Männer und in weniger einflussreichen Zeitschriften, und sie haben eine geringere Wahrscheinlichkeit, später zitiert zu werden – alles Faktoren, die sich negativ auf ihren beruflichen Aufstieg auswirken.
„Wir haben Zeitschriften für Infektionsmedizin unter die Lupe genommen und hier den Anteil weiblicher Erst- und Letztautoren von Publikationen erfasst und diesen mit dem Frauen-Anteil bei den Herausgebern verglichen“, sagt Dr. Cihan Papan, Oberarzt am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Universität des Saarlandes. Die Unterscheidung zwischen Erst- und Letztautor:innenschaft dient dabei der Berücksichtigung von Hierarchieebenen innerhalb des Publikationssystems. „Während Erstautoren meist erst am Anfang ihrer Karriere stehen, sind die Letztautoren in der Regel erfahrene Forscher und die Initiatoren des Forschungsprojekts“, erläutert Katharina Last. Sie ist selber Erstautorin der aktuellen Publikation. In der Studie wurden 40 zufällig ausgewählte wissenschaftliche Zeitschriften aus dem Bereich der Infektionsmedizin analysiert. Alle Zeitschriften hatten mehrere Herausgeber:innen, abrufbar waren zudem die Namen und Vornamen der Erst- und Letztautor:innen sowie die Impakt-Faktoren. Insgesamt flossen rund 11.000 Artikel in die Untersuchung ein.
 
Gender-Unterschiede
„Unter den Erstautoren der Publikationen waren genauso viele Frauen wie Männer, jedoch waren Frauen bei den Letztautoren eindeutig unterrepräsentiert; hier betrug der Frauen-Anteil nur rund 35 %“, sagt Katharina Last. Eine deutliche genderspezifische Diskrepanz zeigte sich auch bei den Herausgeber:innen: Von insgesamt 577 Herausgeber:innen waren 67 % Männer und knapp 33 % Frauen. Anschließend wurde der Zusammenhang zwischen dem Anteil von Frauen an allen Erst- und Letztautor:innen und dem Frauen-Anteil an allen Herausgeber:innen ermittelt. „Unsere Analyse zeigt, dass die Herausgeberschaft von Frauen signifikant mit der Erst- und Letztautorschaft von Frauen verbunden ist. Je höher der Anteil von Herausgeberinnen in Zeitschriften über Infektionskrankheiten war, desto höher war auch der Anteil von Erst- und Letztautorinnen im analysierten Zeitraum“, fasst Dr. Cihan Papan das Ergebnis zusammen.
Eine mögliche Ursache für diesen Zusammenhang könne unter anderem die unbewusste und implizite genderspezifische Voreingenommenheit der Herausgeber bei der Beurteilung eines eingereichten Artikels sein, so Papan. Andere Gründe können genderspezifische Unterschiede im rhetorischen Ausdruck beziehungsweise der Ergebnispräsentation oder auch die Auswahl an Forschungsmethoden sein.
Sein Resümee der Ergebnisse: Da Frauen bei medizinischen Fachzeitschriften seltener in die Position von Herausgeber:innen kommen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei der Auswahl von Artikeln zur Publikation eine (unbewusste) Selektion stattfindet und daraus eine (ungewollte) Diskriminierung von Frauen als Autorinnen resultiert.
Quelle:

Pressemitteilung: Universität des Saarlandes,

Gerhild Sieber Last K et al.: Association between women‘s authorship and women‘s editorship in infectious diseases journals: a cross-sectional study. Lancet Infect Dis. 2022 Jul 12: S1473–3099(22)00367-X. doi: 10.1016/ S1473-3099(22)00367-X. Epub ahead of print. PMID: 35839790. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/ S147330992200367X

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