Erschöpfte Frau steht mit auf die Knie gestützen Händen und nach vorn gebeugt da und macht eine Verschnaufpause.

Im Gespräch

Naturmedizin 1/2022

Energieverlust im Sport durch Eisenmangel

Dr. sc. hum. Joachim Merk ist Diplom-Sportpädagoge, Physiotherapeut, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der BG Unfallklinik Tübingen und Lehrbeauftragter an der Hamburger Fernhochschule im Studiengang „Therapiewissenschaften“. Er betreut seit einigen Jahren an der BG Klinik Tübingen Leistungssportler:innen nach Sportverletzungen im Rehabilitationsprozess und Patient:innen nach Arbeitsunfällen und orthopädischen Operationen.
Herr Merk, wenn ein Sportler nicht mehr zu seiner Form zurückfindet, empfehlen Sie, nicht nur motorische Fähigkeiten zu überprüfen, sondern auch eine Labor-Analyse durchzuführen. Warum?
Es braucht nicht immer eine Verletzung mit durch Ruhigstellung bedingten konditionellen Defiziten, um Leistungseinschränkungen im Berufssport zu erklären. Deshalb ist neben der etablierten sportartspezifischen Leistungsdiagnostik auch ein regelmäßiges Screening der Energieverfügbarkeit und der Mikronährstoffe sinnvoll. Auch Leistungssportler ernähren sich nicht immer gesund und vollwertig.
In gewichtssensitiven und ästhetischen Sportarten wie Ausdauer- Sport, Turnen, Rhythmische Sportgymnastik sind Symptome gestörten Essverhaltens oder Ess-Störungen nicht selten, was wiederum schnell zu einem Mangel an wichtigen Mikro-Nährstoffen wie Eisen, Calcium, Natrium und Vitamin D führen kann. Ein überdauernder ernährungsbedingter Mangel führt zu einem signifikanten Leistungsverlust bei den betroffenen Athlet:innen. Das ist in Studien an Schwimmer: innen und Gymnast:innen gut belegt worden.
 
Sie richten den Fokus besonders auf einen möglichen Eisenmangel. Warum sind besonders Sportlerinnen betroffen?
Sportlerinnen haben durch die Menstruationsblutungen schon einen deutlich höheren Eisenverlust als männliche Athleten, weshalb noch Ende der 1990er Jahre von amerikanischen Sportmedizinern der Begriff „female triad“ eingeführt wurde: Dazu gehört die sekundäre Amenorrhoe, die vorzeitige Osteoporose und der Gewichtsverlust aufgrund von Mangelernährung.
2014 wurde dieses Konzept vom internationalen Olympischen Komitee neben dem Knochenstoffwechsel und der Menstruation auf sämtliche betroffene Organsysteme und auch auf die Psyche und das Immunsystem erweitert. Das IOC spricht in diesem Zusammenhang vom relativen Energiedefizit im Sport (RED-S), was übrigens auch männliche Sportler mit einschließt. Der Eisenbedarf von Athletinnen in diesen Sportarten ist ca. 70 % höher als von Normalpersonen. Fast jede 5. Athletin ist dabei von Eisenmangel betroffen, bei männlichen Sportlern ist das Phänomen noch deutlich seltener (3 %). Allerdings muss man auch erwähnen, dass die Prävalenz für Eisenmangel in der Gesamtbevölkerung mit dem Sport vergleichbar ist. Eisenmangel ist also kein isoliertes Problem, das nur weibliche Ausdauer-Sportlerinnen betrifft.
 
Übersicht über den Schweregrad eines Eisenmangels und die Parameter Ferritin, Transferin, Transferin-Rezeptor (LTR) und Hämoglobin.
 
Woran macht sich, speziell bei Athletinnen, ein Eisenmangel bemerkbar?
Ein typisches Frühsymptom ist Haarausfall, da weisen gute Friseure ihre Kundinnen auch schon manchmal darauf hin. Ansonsten ist oft äußerlich schon sichtbar, dass die Sportlerinnen blass sind, öfter frieren, eher trockene Haut und rissige Lippen haben. Neben den typischen Übertrainingssymptomen verminderte Leistungsbereitschaft, Müdigkeit und Antriebsverlust sind die Athletinnen oft auch infektanfälliger, insbesondere in den oberen Atemwegen. Dazu kommt, dass sich die betroffenen Sportlerinnen deutlich langsamer von den Trainingsbelastungen erholen können. Das hängt neben hormonellen und vegetativen Einflüssen auch damit zusammen, dass die Transportkapazität für Sauerstoff im Blut durch das erniedrigte Hämoglobin und damit auch die maximale Sauerstoff-Aufnahmefähigkeit (VO2max) reduziert ist, was als Bruttokriterium der Ausdauerleistungsfähigkeit gilt.
 
Welche Marker beachten Sie?
Im oberen Leistungssport- Bereich werden im Rahmen von Sporteingangstests und den jährlichen Gesundheitschecks regelmäßig die Athlet:innen ärztlich untersucht. Bei typischen Symptomen wie Gewichtsverlust, wiederholte Verletzungen oder häufige Infekte, eingeschränkte Leistungsfähigkeit oder starke Stimmungsschwankungen sollten Labor-Screening-Verfahren zum Einsatz kommen, die über das standardmäßig erfasste große Blutbild hinausgehen. Dabei werden nur Erythrozytenzahl und Hämoglobinwert erfasst, was aber erst bei ausgeprägtem Eisenmangel zu Auffälligkeiten führt. Der beste Laborwert zur Früherkennung eines Eisendefizits ist der Ferritinwert, der als erster Laborparameter die Entleerung der Eisenspeicher anzeigt. (siehe Grafik).
Bleibt der Ferritin- bzw. Speichereisenspiegel niedrig, entsteht ein funktioneller Eisenmangel, der zu einem Anstieg des Transferins und der löslichen Transferin-Rezeptoren (LTR) führt. Die Bestimmung des LTR-Wertes ist allerdings noch relativ teuer und wird auch nicht standardmäßig gemacht. Im letzten Schritt entsteht durch die verminderte Erythropoese eine Anämie (abfallender Hämoglobin-Wert), was sich dann in den typischen Eisenmangel- Symptomen zeigt.
In der Literatur existieren leider immer noch keine ganz einheitlichen Empfehlungen für die Ferritin-Cut-Offs. Nach meiner Erfahrung sollten Normalpersonen einen Ferritinwert von mind. 35 μg/l Blut und Leistungssportler mind. 50 μg/l Blut aufweisen. Liegen die Werte darunter, würde ich eine Eisensubstitution empfehlen. Der Vorteil einer niedrig dosierten Eisen-Einnahme liegt darin, dass keine begleitende ärztliche Laborkontrolle notwendig ist. Außerdem haben die betroffenen Athlet:innen oft weniger gastrointestinale Beschwerden, wie Obstipation, Durchfall oder Übelkeit, sodass auch eine langfristige Einnahme meist unproblematisch ist.
Inzwischen sehe ich eine präventive, niedrig-dosierte Eisengabe in Kombination mit B-, C- und D-Vitaminen und Mikronährstoffen bzw. Spurenelementen wie Magnesium und Zink nicht nur als sinnvoll an, um einem Eisenmangel vorzubeugen. In der Kombination kann das auch ein wertvoller Energiebooster für den Alltag von Athlet:innen sein.
 
Wie sieht es bei anderen Patienten in der Unfallchirurgie oder Orthopädie aus? Spielt da Eisenmangel bei oder nach Operationen auch eine Rolle?
Es gibt Studien, die zeigen, dass es in ganz vielen klinischen Fachbereichen insbesondere in der Geriatrie und Onkologie, aber auch in meinem Tätigkeitsbereich eine hohe Prävalenz von Mangelernährung gibt. Trotzdem ist das Bewusstsein dafür noch nicht so weit verbreitet. In dem unserer Klinik zugehörigen Siegfried-Weller-Institut für unfallmedizinische Forschung wurden unter der Leitung von Prof. Andreas Nüssler über 18 Monate mehr als 1.000 Patienten auf ihren Ernährungsstatus untersucht.
Dabei konnte gezeigt werden, dass das Risiko einer Mangelernährung fast jeden 4. Patienten betraf (22,3 %). Die höchste Prävalenz betraf die septische Unfallchirurgie mit 31,3 % und mehr als jeden 2. über 60-jährigen Patienten (51,6 %). Insbesondere bei elektiven Eingriffen ist da noch viel Luft nach oben, da man inzwischen weiß, dass Patienten mit präoperativer Anämie ein doppelt so hohes Mortalitätsrisiko haben. Auch andere periund postoperative Komplikationen erhöhen sich signifikant bei einer präoperativen Anämie. Wohlgemerkt sind hier die funktionellen Eisenmangel-Erkrankungen noch gar nicht mitberücksichtigt.
 

 

Quelle:

Dr. sc. hum.

Joachim Merk

jmerk@bgu-tuebingen.de

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