Im Gespräch

Naturmedizin 3/2018

Der Mensch ist nicht nur ein biochemisches Wesen

Sie waren als Allgemeinmediziner im Landkreis Passau tätig, jeden Tag hatten Sie 80 bis 100 Patienten. Gab es einen Schlüsselmoment, in dem Sie Ihr therapeutisches Handeln infrage stellten?
Als mir ein Kollege anbot, als Partner in seine Praxis mit einzusteigen, musste ich mir natürlich über mein zukünftiges Leben Gedanken machen. Ich dachte über die Situation in dieser Praxis noch einmal nach und erkannte, dass viele Patienten eigentlich immer wieder mit denselben Beschwerden kommen und ich immer nur sogenannte Antimittel zur Hand hatte wie Antihypertonika oder Antidepressiva … Die Frage nach dem Warum wird oft gar nicht mehr gestellt, sondern es werden nur die Symptome behandelt. Dies war der Schlüsselmoment für mich.
 
Epigenetische Forschungen bestätigen, dass auch Ereignisse auf geistiger bzw. seelischer Ebene die Gesundheit über Generationen hinweg beeinflussen können. Warum kommen solche Erkenntnisse noch kaum in der klassischen Schulmedizin an?
Dies ist natürlich ein großer Fortschritt für uns in der Naturheilkunde bzw. Komplementärmedizin tätigen Ärzte. Wir ahnten dies, bzw. wussten es für uns eigentlich schon immer. Wir sind ja auch in der Erfahrungsheilkunde tätig und vergleichen die Krankheitsbilder der Familien in der Praxis. Wenn Sie zum Beispiel mit der Psychokinesiologie arbeiten, erfahren Sie, dass sich Verhaltensmuster regelrecht einbrennen können – und das über Generationen hinweg. In der klassischen Schulmedizin versucht man immer, auf der biochemischen Ebene Antworten zu finden. Aber Verhaltensmuster sind hier nicht zu fassen. Alle Informationen sind ständig vorhanden, haben aber erst dann eine Bedeutung für uns, wenn sie in unser Bewusstsein eindringen.
 
Viele Patienten wünschen sich persönlichen Kontakt und mehr Zeit mit dem Arzt. Paradoxerweise wird aber gerade die Telemedizin vorangetrieben. Wie sehen Sie diesen Trend?
Natürlich will jeder gerne viel Zeit mit dem Therapeuten verbringen, um sich ernst genommen zu fühlen. Dies ist aber heutzutage nicht vorgesehen. Es wird eher darauf hingearbeitet, durch ständige Überwachung und Datensammlung sofort die entsprechenden Medikamente zuzuführen. Der Mensch ist aber nicht nur ein rein biochemisches Wesen und braucht auch Hilfe auf den anderen Ebenen. Man muss hier unterscheiden, mit welcher Zielsetzung gearbeitet wird. Wie immer gibt es Vor- und Nachteile einer Maßnahme. Es hängt immer davon ab, wer den Vorteil hat. Im Moment habe ich das Gefühl, dass selbstständig denkende Ärzte ausgebootet werden sollen. 
 
Medizin ist für Sie nicht bloße Wissenschaft, sondern Erfahrungsheilkunde. Wie begegnen Sie Kritikern, die Ihren Methoden fehlende Evidenz vorwerfen?
Jede Wissenschaft basiert auch auf der Idee und der Erfahrung des Forschers. Es gibt in der Wissenschaft auch den Begriff „anekdotische Evidenz“. Das bedeutet, dass es Schulen gibt, die aus der Erfahrung heraus Therapiekonzepte weitergeben und diese immer wieder überprüft werden in ihren Erfolgen. Wir können hier die Akupunktur und die Homöopathie nennen. Selbst in der Schulmedizin gibt es unterschiedliche Schulen, die sich oft ziemlich massiv bekämpfen.
In den sogenannten Doppelblindversuchen wird versucht, die Parameter möglichst konstant zu halten. Dies ist in offenen Systemen wie unserem Körper aber nicht möglich, denn wer fragt nach, ob die Umweltbedingungen oder der Hormonhaushalt, ganz zu schweigen von der Gemütslage der Testpersonen, miteinander zu vergleichen sind? Ich stehe zu der „anekdotischen Evidenz“, denn dies ist meine Erfahrung seit 35 Jahren, die sich bei mir immer wieder bewähren muss. Kein Patient, der selbst Geld in die Hand nimmt für eine ärztliche Behandlung, wird weiter in die Praxis kommen, wenn die Intervention keinen Erfolg zeigt. Noch dazu kommen ja gerade die Patienten, die durch das Raster der evidence-based medicine gefallen sind.
 
Herzlichen Dank für das Gespräch!

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