Im Gespräch

Naturmedizin 5/2022

Darmmikrobiom beeinflusst Medikamtenwirkung

Darmbakterien sind in der Lage, Wirkstoffe zu aktivieren oder auch zu deaktivieren – umgekehrt verändern Medikamente wiederum die Zusammensetzung des Mikrobioms. Diesen Zusammenhängen geht der Biochemiker Michael Zimmermann vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg nach. Ziel seiner wissenschaftlichen Arbeit ist, dass Patient:innen künftig nach Analyse ihrer Darmflora für sie persönlich geeignete Medikamente erhalten. Sein Forschungsprojekt wurde von der Daimler und Benz Stiftung gefördert.
Stiftung: Herr Dr. Zimmermann, Sie erforschen, wie Medikamente und Bakterien im menschlichen Darm wechselwirken. Wie neu ist dieser Ansatz und seit wann ist überhaupt bekannt, dass hier ein Zusammenhang besteht?
Zimmermann: Tatsächlich steht das Darmmikrobiom erst seit 2 Jahrzehnten im Fokus der Wissenschaft. Das hat vor allem mit technologischen Entwicklungen zu tun, etwa der Möglichkeit automatisierter DNA-Sequenzierungen innerhalb kurzer Zeit. Die Vorstellung, dass die Darmflora die Wirkung von Medikamenten beeinflusst, besteht allerdings schon länger; vor 50 Jahren gab es sogar eine erste wissenschaftliche Konferenz dazu. Heute können wir diese Zusammenhänge genauer erforschen – und zwar mit Blick auf eine personalisierte Medikamentengabe für Patienten.
 
Könnten Sie den damaligen Wissensstand näher beleuchten?
In den 1930er-Jahren wurde das Antibiotikum Prontosil entwickelt, das bis Mitte des letzten Jahrhunderts verbreitet zur Behandlung von Infektionen eingesetzt wurde. Interessan- terweise zeigte es jedoch nur geringe inhibitorische Effekte bei Experimenten im Reagenzglas. Es stellte sich heraus, dass das Antibiotikum durch die Darmbakterien metabolisiert wird und dadurch erst seine Wirksamkeit erhält. Ein Beispiel für eine gegenteilige Wirkung ist das Herpesmedikament Sorivudin: Anfang der 1990er-Jahre musste es aufgrund einer Interaktion mit einem Krebsmedikament vom Markt genommen werden, weil mehrere Patienten starben. Die Ursache hierfür lag in der Zusammensetzung ihrer Darmflora; durch die Abbauprodukte kam es zu einer unvorhergesehenen Überdosierung bzw. Toxizität des Krebsmedikaments.
 
Um welche Größenordnungen geht es, wenn wir über die Bakteriengemeinschaften im Darm sprechen?
Unser Körper ist stark besiedelt, und zwar mit mindestens so viel Mikroben wie wir eigene Körperzellen besitzen. Noch drastischer ausgedrückt: Wir tragen mit zwei bis drei Millionen bakteriellen Genen rund 150-mal mehr mikrobielle Gene in unserem Körper als menschliche.
 
Und was bedeutet das aus wissenschaftlicher Sicht?
Das Mikrobiom ist biochemisch faszinierend, es besitzt ein enormes metabolisches Potenzial. Einen Großteil seiner Gene verstehen wir gegenwärtig noch nicht. Physiker würden sagen, es handelt sich um „dunkle Materie“. Und genau die wollen wir erforschen und verstehen. Schließlich ist das Mikrobiom für die Nahrungsaufnahme, den Metabolismus und das Immunsystem relevant. Die Darmbakterien beeinflussen unsere Gesundheit!
 
Inwiefern unterscheidet sich das Mikrobiom einzelner Menschen? Gibt es auch kulturelle Unterschiede?
Obwohl wir Menschen uns untereinander genetisch nur weniger als ein Prozent unterscheiden, liegt der Unterschied beim Mikrobiom von Person zu Person bei bis zu 80 %. Das hängt unter anderem von der Ernährung, dem Lebensstil und Vorerkrankungen ab. Dazu kommen geografische Besonderheiten: Die „Verwestlichung“ unserer Nahrung – unser europäisches Essen ist beispielsweise nicht mehr so faserreich wie in anderen Kulturen oder in früheren Epochen – kann für einen Teilverlust des Mikrobioms verantwortlich sein.
 
Lassen Sie uns über Ihre eigene Forschung sprechen.
Wir verfolgen unterschiedliche Ansätze, um die genetisch „dunkle Materie“ der Darmflora zu erforschen. Wozu sind die Mikroben biochemisch in der Lage, wie interagieren sie mit Medikamenten? Durch die Grundlagenforschung können wir viel lernen, denn die Evolution der Bakterien ist ursprünglich nicht darauf ausgerichtet, Medikamente in unserem Körper zu verstoffwechseln – dies geschieht erst seit zirka einem Jahrhundert. Darüber hinaus widmen wir uns auch klinischer Forschung, in der wir mit Krankenhäusern zusammenarbeiten. Um molekulare Mechanismen zu verstehen, nehmen wir Kohorten kranker und gesunder Personen, sequenzieren die DNA ihres Mikrobioms und stellen Vergleiche an. Außerdem untersuchen wir, ob es Assoziationen mit bestimmten Krankheiten gibt, und analysieren Interaktionen zwischen Medikamenten und Bakterien. Forschungsgruppen hier am EMBL und weltweit arbeiten dabei an ganz unterschiedlichen Aspekten.
 
Stiftung: Wie funktioniert das alles im Laboralltag?
Wir stellen den Metabolismus der Darmbakterien im Labor experimentell nach: In verschiedenen Flüssigkulturen können wir aerobe oder anaerobe Bakterien entweder einzeln oder in Gemeinschaften untersuchen und deren Wechselwirkung mit unterschiedlichen Arzneimitteln testen. Es gibt unglaublich viele Kombinationsmöglichkeiten, weswegen wir mit 96 Kulturen auf kleinen Mikrotiterplatten gleichzeitig arbeiten; das ermöglicht einen hohen Durchsatz. Per DNA-Sequenzierung wird das Erbgut der Bakterien untersucht und durch Massenspektrometrie der chemische Aufbau von Arzneistoffen und bakteriellen Stoffwechselprodukten bestimmt. In Laborexperimenten setzen wir außerdem genetisch veränderte Bakterien ein, um den Einfluss einzelner Stämme auf die Wirksamkeit von Medikamenten zu testen, und nehmen Enzyme sowie die Abbauwege durch die Mikroorganismen in den Blick. Darüber hinaus setzen wir menschliche Zellkulturen sowie keimfreie Mäuse als Modelle ein, um die Effekte der bakteriellen Stoffwechselprodukte auf den jeweiligen Wirt zu untersuchen.
Quelle: Pressemitteilung: Daimler und Benz Stiftung, Marion Hartmann:

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