Ich habe sie zu ihrem Engagement befragt und es ist zu einem sehr emotionalen Gespräch gekommen. Da Katja Kühn und ich als Medizinjournalist beide in der Allianz für Klimawandel und Gesundheit aktiv sind, haben wir für das Interview das dort üblich Duzen beibehalten.
Das Gespräch führte Frank Aschoff am 30.8.2021
Was waren deine Gedanken angesichts der jüngsten Flutkatastrophe in Deutschland Mitte Juli 2021?
Oh, ja, da sind Bilder im Kopf ... Was ich gefühlt habe, war vor allem große Hilflosigkeit, Ohnmacht – und auch Sorge um Freunde, weil wir Menschen dort vor Ort kennen. Gedanken zur Seuchengefahr gingen mir durch den Kopf. Mir fielen auch andere Länder ein, die viel mehr von Flutkatastrophen betroffen sind und die damit offensichtlich anders umgehen. Wo weniger Menschen zu Tode kommen. Wir waren inadäquat vorbereitet. Katastrophale Warnsysteme, die nicht funktioniert haben. Als Ärztin muss ich sagen: Komplett die Präventionsziele verfehlt. Es bleibt mir eine tiefe Besorgnis zurück und Angst vor den nächsten Katastrophen, die sich jetzt häufen werden. Und eine Sorge, dass die Menschen wieder alleingelassen werden. Aber auch ein anderes Bild ist mir im Kopf: die großen Hitze- und Brandkatastrophen, z.B. in Kanada, wo ich auch Menschen kenne. Dort sind ganze Regionen verbrannt, ganze Städte verschwunden.
"Komplett die Präventionsziele verfehlt"
Und hat sich zur Ohnmacht auch ein gewisser Ärger beigemischt? Die Diagnose ist ja schon lange klar ...
Klar löst das auch Ärger aus. Aber ganz ehrlich, meine Wut und Verzweiflung sind jetzt schon so groß, seit gefühlt zwei Jahren sorge ich mich, predige, dass solche Szenarien kommen können. Meine Wut und Verzweiflung können kaum noch größer werden. Es war nur die Bestätigung, dass sie jetzt da ist, die Katastrophe, jetzt machen hoffentlich alle die Augen auf, hoffte ich, jetzt kann ich noch mal ganz anders mit meinen Mitmenschen reden, die mich bisher immer belächelt haben: „Ach Mensch, das hat doch alles nichts mit uns zu tun. Wir haben doch noch viel Zeit. Wir können uns anpassen.“ Aber: nein! Das muss schneller gehen und wir müssen Druck auf die Politik machen, dass die uns hilft, als Menschen, als Gesundheitssystem – und natürlich auch den Tieren und Pflanzen. Wir müssen noch konsequenter handeln.
Tja, aber selbst die Menschen dort in den Flutgebieten sprechen von „Jahrhundertereignis“ oder „Jahrtausendereignis“, was dann letztendlich suggeriert, dass so ein Ereignis erst wieder in Hundert oder Tausend Jahren stattfinden wird.
Das ist ja genau falsch. Und da liegt die Aufgabe für mich als Ärztin, oder auch die wir als Gesundheitswesen haben, als Mediziner haben wir ja großen Einfluss auf die Gesellschaft. Wir müssen den Menschen die Wahrheit sagen: Das wird sich jetzt häufen und wird katastrophale Folgen haben, Todesopfer fordern und auch finanzielle Folgen haben! Jedes Geld, das wir jetzt in Klimaschutz investieren, ist im Vergleich zu dem, was wir dann zahlen müssen, wenn wir noch länger warten, gering. Die Investition jetzt, ist gespartes Geld. Aufklärung ist jetzt wichtig.
Wie überbringt man aber Patient:innen eine Krebsdiagnose?
Der Gesellschaft, die Medien und die Politiker müssen dies auf gesamtgesellschaftlicher Ebene mitteilen. Individuell stelle ich mir eine Patientin in der Praxis vor: Sie will es vielleicht gar nicht wissen. Ich muss also individuell vorgehen, je nach Aufnahmebereitschaft und Leidensfähigkeit.
Hattest du ein persönliches Schlüsselerlebnis zum Thema Klima?
Mein Schlüsselerlebnis war eine eigene Patientin: Als Endokrinologin mache ich ja auch Kinderwunschberatung. Wir hatten gefühlt ein halbes Jahr danach gesucht, warum sie nicht schwanger wird. Eines Tages kam sie dann zu mir und sagte, dass sie keine Kinder mehr kriegen will. Sie legte mir Infomaterial zur Klimakrise auf den Tisch. Da habe ich zum ersten Mal realisiert, wie nah wir als Zivilisation am Abgrund stehen. Und je mehr ich dann Daten recherchiert habe, desto unheimlicher wurde es mir. Faste zeitgleich waren Kinder, ja Kinder!, bei mir auf der Straße und haben Autos blockiert, die hupten. Ich habe versucht, zu helfen, zu schauen, dass es keinen Unfall gibt. Und so habe ich Fridays for Future kennengelernt ... Ich sage inzwischen übrigens nicht mehr Klimawandel, sondern Klimakatastrophe. Wir rennen ja in eine Katastrophe. Und dann habe ich mich mit den Fridays getroffen und seitdem unterstütze ich die For-Future-Bewegungen ... Bei der Erinnerung an diese Tage: Da muss ich weinen ...
(seufzt sehr tief ... )
Zwei sehr intensive Erlebnisse ... Aber das gemeinsame Engagement kann ja auch helfen. Fridays for Future kriegt ja inzwischen auch Hilfe von Health for Future, wo wir beide engagiert sind. Durch Corona aktuell etwas ausgebremst ...
Ich versuche alle zu vernetzen. Die Psychologists for Future gehören zu meinen wichtigsten Ansprechpartnern in dieser Bewegung. Ja, es ist eine Bewegung, die durch Corona nicht schwächer oder weniger wird. Wir sind jetzt anders präsent. Wir gehen rein in die Institutionen: Wir sprechen mit den Politikern, versenden Infomaterial, machen Weiterbildungen für Medizinberufe, wir gehen in die Krankenhäuser und helfen klimaneutral zu werden, wir gehen an die Ärzteschaft heran und erklären, dass aktuell durch die Ärzteversorgung auch fossile Industrie, Tabak- und Waffenindustrie unterstützt wird, also Stichwort Divestment. Es gibt also viele Dinge, die wir angeschoben haben und jetzt in Bewegung sind. Ich bin sehr dankbar dafür. Mir hilft es sehr zu wissen, wie viele wir sind und wie engagiert der Einzelne, wie engagiert das große Ganze ist. Das hilft mir beim Weitermachen.
Du hast die Ärzteschaft angesprochen. Auch nicht zuletzt durch KLUG sollte das Thema Klima und Gesundheit ja auf die Tagesordnung des Ärztetages. Jetzt stand es wohl unter der Rubrik Weiterbildung auf der Agenda. Da hat sich der eine oder andere wohl mehr erhofft ... Wo siehst du die deutsche Ärzteschaft?
Das ist leider auch so ein von Ärger besetztes Thema. Das betrifft mein ganz persönliches Umfeld. Viele meiner Kolleg:innen erreiche ich nicht: Ich werde häufig belächelt, oder sie kommen mit den eigenen Ängsten um den Wohlstand. Viele haben natürlich gerade auch sehr mit sich selbst zu tun: COVID-19, finanzielle Änderungen, Mehrbelastung ... da ist auch eine Art Abwehrpsychologie. So freue ich mich um so mehr über jeden Einzelnen, der unterstützt. Aber insgesamt ist es viel zu wenig. Eigentlich sollten wir ein Sprachrohr für die Wahrheit sein.
"Eigentlich sollten wir ein Sprachrohr für die Wahrheit sein"
Wie sind deine Erfahrungen mit der sogenannten Klimasprechstunde?
Das ist ein schönes Thema. Patienten mit den verschiedensten Anliegen kommen und das Thema Klima und Umwelt ergibt sich häufig. Dann kann ich professionell auf Basis von meinen Weiterbildungen Klimathemen besprechen, wie z.B.: Wie lagere ich meine Medikamente bei Hitze? Verändert sich die Wirkung? Wie kann ich mich selbst anders verhalten, gleichzeitig klimaunschädlich und gesund für mich selbst, also zum Beispiel das Auto stehen lassen und zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren. Oder den Öffentlichen Nahverkehr nutzen. Das nehmen die Patienten meist gerne an. Es sind drei Bausteine: Was kann ich für mich und das Klima tun? Wie kann ich mich engagieren? Gegen meine Hilflosigkeit. Und drittens: Wie kann ich die Politik ansprechen, mit meinen Abgeordneten reden?
Ja, wie Eckhart von Hirschhausen sagt, es ist oft eine Win-Win-Situation: Gut für den Mensch, gut für die Erde. Zum Beispiel auch die Ernährung ...
Ja, ich mache auch Ernährungsberatung, bei Übergewicht, Befindlichkeitsstörungen. Da kann man viel erreichen, bewusst auswählen, regional, ausgewogen, klimaunschädlich. Das kann sehr schön sein für Patienten, zu sehen, an wie vielen Stellen man etwas Positives bewirken kann, für sich selbst und auch die Gesellschaft. Für viele ist es aber auch Zeitaufwand. Viele sind im Hamsterrad gefangen: lange Wege zum Arbeitsplatz, unerfüllende Arbeit – oft Gründe für schlechte Ernährung. Ich sehe oft den Unterschied zwischen den Patienten, die entspannt mit dem Rad in die Praxis kommen und denen, die mit dem Auto kommen, gestresst sind und meckern, weil sie keinen Parkplatz in der Nähe gefunden haben.
Tja, Zeitmangel! Man findet ihn überall. Auch selber als Patient in der Arztpraxis spürt man es. Wie ist das bei dir persönlich? Du bist in verschiedenen Projekten aktiv! Wie kriegt man das unter einen Hut? Du bist auch Mutter von drei Kindern hast du im Vorfeld erzählt. Wie hältst du da die Balance?
Nein, ich halte natürlich nicht die Balance ... zum Glück arbeite ich nicht Vollzeit, also nur 25 Stunden. Das ist ein riesiger Gewinn. Aber es ist problematisch (sie seufzt). Die Familie leidet. Die Kinder haben zu wenig von ihren Eltern. Auch der Papa engagiert sich. Aber ich habe ein großes Netzwerk und ich bin nicht alleine! Ich mache auch mal Pause. Jeder sollte auf seine Kräfte achten! .... Obwohl: Ich mache das selbst noch viel zu wenig, weil ich so einen Leidensdruck habe, oft denke, dass, wenn ich jetzt nicht genug mache, ist es vielleicht zu spät ...
(seufzt sehr tief)
"Ich habe ein großes Netzwerk und ich bin nicht alleine!"
Erfassen deine Kinder das Problem?
Ja, das ist auch so eine Baustelle. Viele meiner Kollegen frage ich, ob sie mit ihren Kindern reden. Viele verneinen dies. Es wird nicht thematisiert und es wird versucht von ihnen fernzuhalten. Im Einzelfall sicher nachzuvollziehen ... Aber wir können es von unseren Kindern nicht fernhalten, weil sie ja auch sehen, was wir tun. Es wird ja auch bei Tisch besprochen. Und sie bekommen es ja auch über ihre Kanäle mit. Es gibt unterschiedliche Rückmeldungen: Von „Mama du nervst“ bis „Mensch, wir wollten doch zur Demo!“. Es ist auch schön, wenn wir alle zusammen aktiv sind, das schweißt zusammen. Die Netzwerke der Kinder sind auch oft gut.
Ja, die Diskussionen schwappen teilweise bis in die Familie hinein: z.B. Fleisch ja oder nein usw. ...
Am schwierigsten ist der Generationenkonflikt mit der Eltern- und Schwiegerelterngeneration: „Die Kinder brauchen doch Fleisch ...“ ...
Was sind für dich die nächsten Meilensteine in deinem Engagement?
Aktuell läuft das Klimacamp zum Thema Flughafen in Leipzig. Und Health for Future unterstützt viele Projekte: CO2-Uhr, der große Klimastreik, unsere Wartezimmerzeitschrift mit Klimainfos in Apotheken, Praxen, Wohnheimen usw. – ganz toll! Aber auch Divestment voranbringen! Ich unterstütze auch einen Hungerstreik in Berlin, wo junge Menschen im Rahmen einer Klimaaktion auf unbestimmte Zeit nichts mehr essen wollen.
Werden die medizinisch betreut?
Ja, natürlich. Sie hatten eine Vorbereitung, wissen was sie tun. Es ist nicht ungefährlich. Die sind so frustriert, alleingelassen, hilflos. Da bin ich gespannt. Ein sehr kontroverses Thema.
Gandhi hat das Fasten ja auch als politischen Widerstand eingesetzt.
Ja, das hat Tradition. Es gibt Erfolge. Aber es muss auch medial präsent sein. Ich kann mir vorstellen, dass das schwierig ist und von anderen Nachrichten verdrängt wird.
Ich bedanke mich sehr! Es war sehr emotional, vielleicht auch angesichts der jüngsten Ereignisse.
Es hat mich sehr gefreut. Und: Es gibt Lichtblicke! Wir haben es jetzt noch in der Hand! Die Wahl wird sehr wichtig!
Dr. med. Katja Kühn
Fachärztin für Innere Medizin und Endokrinologie und Diabetologie; angestellte Ärztin in Leipzig, Jahrgang 1974.
klima-gesundheit@posteo.de