Posttraumatische Belastungsstörung

Naturmedizin 5/2019

Traumata lösen epigenetische Veränderungen aus

Zertifizierte Fortbildung
Warum entwickeln manche Menschen eine posttraumatische Belastungs- störung (PTBS), während andere scheinbar besser mit vergleichbaren Traumata umgehen können? Welche molekularen Mechanismen an der Entstehung einer PTBS beteiligt sind, versuchten nun Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (MPI) genauer herauszufinden.
Jeder Mensch kann im Laufe seines Lebens traumatische Erfahrungen machen. Schätzungsweise 7 bis 12 % der Gesamtbevölkerung sind einmal im Leben von einer PTBS betroffen. Die Auslöser können selbst erfahrene dramatische Ereignisse wie sexueller Missbrauch und andere Gewalttaten, Naturkatastrophen und Unfälle sein, aber auch das Beobachten oder die Schilderung solcher Ereignisse kann, ohne direkte persönliche Beteiligung, traumatisieren. Der Symptomenkomplex der PTBS erhielt erstmals größere Aufmerksamkeit, als viele heimgekehrte Soldaten nach dem Irakkrieg ähnliche psychische Symptome zeigten.
Eine PTBS tritt meist innerhalb eines Jahres nach der traumatisierenden Erfahrung auf und zeigt sich durch unterschiedliche psychische und psychosomatische Symptome. Um eine PTBS-Diagnose nach DSM- 5 zu stellen, sind verschiedene Kriterien zu erfüllen. Zu Beginn steht ein traumatisches Ereignis, dem der Betroffen entweder direkt selbst ausgesetzt sein muss, dem er als Augenzeuge beiwohnt oder das indirekt oder durch Konfrontation erlebt wird. Daraufhin erfolgt ein Wiedererleben durch eindringliche, belastende Erinnerungen oder Albträume, dissoziative Reaktionen (Flashbacks), Stress- oder physische Reaktionen.
Ein nächstes typisches Symptom eines PTBS ist das Vermeiden. Traumaassoziierte Reize werden, teilweise zwanghaft, gemieden. Dies kann das Ausblenden von Gedanken oder Gefühlen sein, sowie das Meiden externer Reize, ausgelöst durch bestimmte Menschen, Orte, Tätigkeiten, Objekte oder Situationen. Dieses Vermeidungsverhalten geschieht häufig unbewusst.
Weiter sind für eine PTBS negative Veränderungen von Gedanken und Stimmungen typisch. Dazu können eingeschränkte Affekte zählen, Depressionen und dissoziative Amnesien. Lebensmut und -freude der betroffenen Person sind stark herabgesetzt.
Halten diese Symptome länger als einen Monat an, haben sie eine funktionelle Bedeutsamkeit und sind nicht auf andere Ursachen zurückzuführen. Dann kann eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werden. Als weitere Symptome können sich auch Depersonalisations- und Derealisationsreaktionen zeigen.
 
Auf der Suche nach molekularen Mechanismen
Nicht jeder Mensch reagiert auf traumatische Erfahrungen mit einer posttraumatischen Belastungsreaktion. Was aber macht Menschen anfälliger für die Entwicklung einer PTBS? Bestimmte Risikofaktoren sind bekannt: Belastende Lebensereignisse oder Lebensumstände können die Entstehung einer PTBS begünstigen, besonders deutlich zeigt sich eine Assoziation zu Missbrauch im Kindesalter. Wer kein gutes soziales Netzwerk hat, ist ebenfalls gefährdeter als Menschen, die eine verlässliche Familie oder gute Freunde haben. Bekannt ist auch, dass das Erleben menschlicher Gewalttaten in der Regel zu schwereren Störungen führt als Traumata durch Unfälle oder Naturkatastrophen. Die Verletzungen durch andere Menschen erschüttert den Glauben an das Gute im Menschen. Nicht durch andere Menschen ausgelöste Traumata können mit den Gedanken an höhere Mächte oder das Schicksal oft besser verarbeitet werden.
Auch eine genetische Veranlagung, die zur Entwicklung einer PTBS prädispositioniert, konnte bereits nachgewiesen werden. So scheinen Kinder mit X-chromosomal vererbter niedriger MAO-A-Aktivität häufiger Verhaltensstörungen nach traumatischen Erlebnissen zu entwickeln, als Traumaopfer ohne diese genetische Variante.
Was könnte die Entstehung eines PTBS begünstigen und somit als Risikoprognosefaktor geeignet sein? Dieser Frage gingen Forscherinnen und Forscher um Erstautorin Maya A. Lebow nach. Die Ergebnisse der Human- und Tierversuche veröffentlichten sie vor Kurzem in der renommierten Fachzeitschrift Translational Psychiatry. Die Erkenntnisse könnten dabei helfen, das PTBS-Risiko frühzeitig besser einzuschätzen. Früh angesetzte Präventionsmaßnahmen könnten eine weitere Traumatisierung verhindern, wenn die Messung der sogenannte GILZ-mRNA das Risiko besser einzuschätzen helfe.
 
Translationaler Ansatz
Der translationale Ansatz kann am besten beschrieben werden mit „bench to bedside“ (vom Labortisch zum Patientenbett), und ist ein interdisziplinärer Zweig der Biomedizin. Das Konzept basiert auf der interdisziplinären Zusammenarbeit der Wissenschaftler, der Forschung im Labor und der Behandlung am Krankenbett.
Dank diesem Ansatz konnten die Autoren vorliegender Studie ihre Untersuchungen an Menschen und im Mausmodell durchführen. Spezialisten beider Bereiche untersuchten die Rolle des Transkriptor-Faktors GILZ (glucocorticoidinduzierter Leucin-Zipper). GILZ wird durch das Gen Tsc22d3 kodiert, das auf dem X-Chromosom sitzt. Es wird von Glucocorticoiden hochreguliert und hat eine antiphlogistische Wirkung.
Von 435 stark traumatisierten erwachsenen Amerikanern (300 weiblich, 135 männlich), die am Grady Trauma Project teilnahmen, wurden Blutproben genommen. Die MPI-Forscherinnen und Forscher maßen darin die GILZ-mRNA.
Dies sind Molküle, die Erbinformationen enthalten und für deren Übertragung sowie den genetischen Prozess der GILZ- Methylierung zuständig sind. Bei den Mäusen wurden zu verschiedenen Zeitpunkten Traumata induziert. Einige Mäuse wurden pränatal traumatisiert, die anderen Tiere im Erwachsenenalter.
 
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Es zeigten sich deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der molekularen Ausgangslage und Reaktion, und das bei Mensch und Maus. Je mehr die Männer der Kohorte traumatische Ereignisse in ihrem Leben erfahren hatten, desto niedrigere GILZ-mRNA-Werte wiesen sie auf. Die GILZ-Methylierung war umso höher.
Die männlichen Mäuse, die pränatalem und späterem Stress ausgesetzt waren, zeigten dreimal so häufig PTBS-ähnliches Verhalten wie die Tiere in der Kontrollgruppe. Auch bei diesen Mäusen zeigte sich eine Reduzierung der GILZ-mRNA-Werte sowie weitere epigenetische Veränderungen. Und diese vererben sich weiter: Eine dreifache Zunahme der Zahl der Nachkommen, die PTBS-ähnliches Verhalten zeigen, konnten die Forscher den traumatisierten Mäusemännern nachweisen. Diese Assoziation konnte bei Frauen und weiblichen Mäusen nicht nachgewiesen werden.
Prinzipiell haben posttraumatische Belastungsstörungen eine höhere Prävalenz bei Frauen. Die vorliegenden Erkenntnisse könnten jetzt aber vor allem helfen, das PTBS-Risiko von Männern besser einzuschätzen.
 
GILZ beeinflusst die Reaktion auf Traumata
Aufgrund dieser Ergebnisse nahmen die Autoren an, dass GILZ die Reaktion auf Stress beeinflusst. Sie führten weitere Versuche durch. Um herauszufinden, wie Mäuse darauf reagieren, reduzierten die Wissenschaftler bei einigen Tieren die GILZ-Spiegel, und tatsächlich: 70 % der Versuchstiere reagierten auf den verringerten GILZ-Spiegel mit PTBS-ähnlichem Verhalten, nachdem sie traumatisierendem Stress ausgesetzt waren. Von den Mäusen mit normalen GILZ-Spiegel reagierten dagegen nur 10 % mit Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Erneut zeigte sich aber auch wieder der Einfluss vorangegangener Ereignisse. Frauen und Männer, die in der Kindheit schweren Missbrauch erlebt hatten (sexuell, körperlich, emotional), zeigten auch in dieser Studie die signifikant höhere Anfälligkeit für die Entwicklung eines PTBS. Und: Bei diesen Teilnehmern wurden auch reduzierte GILZ-Spiegel gemessen. Die mögliche regulatorische Rolle des GILZ-Gens muss jedoch noch weiter erforscht werden.
Dennoch schlussfolgern die Autoren, dass der GILZ-Spiegel als Risikomarker zur Entwicklung eines PTBS angesehen werden kann. So könnte die Messung des GILZ-Spiegels zukünftig Teil einer prophylaktischen Diagnosestellung werden.


Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle: Lebow MA et al.: Glucocorticoid-induced leucine zipper „quantifies“ stressors and increases male susceptibility to PTSD. Transl Psychiatry 2019; 25; 9(1): 178

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