Achtsamkeit: Hand fühlt Lavendel-Blüten

Evidenzsbasierte Naturmedizin

Naturmedizin 2/2021

Achtsamkeitsmeditation – pro Herz & versus Stress

Die Achtsamkeitsmeditation als Teil der Ordnungstherapie bzw. der Mind-Body-Medizin ist ein fester Bestandteil auch in der Naturheilkunde – sowohl in Kliniken als auch in der  ambulanten Versorgung. Deutsche Krankenkassen bezuschussen Präventionskurse in der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction/MBSR) aufgrund ihrer guten Wirksamkeit. Eine aktuelle Studie beschränkte sich nicht auf die Messung der Effekte mittels Fragebögen, sondern untersuchte die Wirkung auf die Herzfrequenzvariabilität.
Ulrich Kirk und Johanne L. Axelsen von der Psychologie-Fakultät der Universität Süddänemark haben in einer randomisierten, kontrollierten Studie untersucht, welche Effekte Achtsamkeitspraxis auf die Herzfrequenzvariabilität (HRV) hat. Als belegt sehen sie es an, dass Achtsamkeitspraxis positive Wirkungen auf das Stressempfinden und die Schlafqualität hat, allerdings werden die meisten Ergebnisse über die Befragung der Patienten durchgeführt und es bestehen weiterhin Definitionsschwierigkeiten für die Achtsamkeit als Intervention. Die Autoren wollten daher objektive Methoden zur Messung von Parametern wie Stress und Schlafqualität nutzen. Sie sehen die von ihnen genutzte Messung der Herzfrequenzvariabilität (HRV) als aussagekräftige Methode zur Beobachtung des Zusammenspiels zwischen dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem. Außerdem war es ihnen wichtig, die Untersuchung nicht in einer Laborumgebung durchzführen, sondern in einem alltagsnahen Setting.
Bisherige Studien hätten gezeigt, dass die Atemfrequenz während der Achtsamkeitspraxis verringert und die HRV erhöht wird. Die offene Frage für Kirk und Axelsen ist: Ist dieser Effekt nur während der Intervention vorhanden oder tritt auch ein langfristiger Effekt ein?
 
Methode
An der Studie nahmen insgesamt 99 gesunde Erwachsene zwischen 21 und 60 Jahren teil. 9 Teilnehmer schieden aus oder zeigten über 10 % fehlende Daten in den HRV-Prä- und Postmessungen, sodass die letzendlich die Daten von 90 Probanden verwertet werden konnten. Die Teilnehmer wurden randomisiert auf eine Versuchsgruppe (VG), eine aktive Kontrollgruppe mit Musikhören (KG-Musik) und eine Kontrollgruppe ohne Intervention (KG) aufgeteilt.
In der VG wurde ein 10-tägiges online-basiertes Achtsamkeitsprogramm auf Basis der App Headspace durchgeführt. Der Inhalt des Trainings basierte auf gut etablierten Konzepten und Praktiken in der Achtsamkeitsliteratur und beinhaltete tägliches Üben in geführter Achtsamkeitsmeditation mit Anweisungen, die durch kurze animierte Videos und Audiodateien in der App geliefert wurden. Inhalte im einzelnen waren: Konzentration auf ein ausgewähltes Objekt (d.h. den Körper oder den Atem), die Beobachtung der Aktivität des Geistes, das Erkennen des sogenannten Gedankenwanderns und die Entwicklung einer nicht wertenden Orientierung an der eigenen Erfahrung (d.h. Gleichmut). Täglich wurde 20 bis 30 Minuten geübt.  In der KG-Musik hörten die Teilnehmer der Gruppe mithilfe einer App Playlisten mit frei wählbarer Instrumentalmusik. Die Teilnehmer wurden während der täglichen Sitzungen (Achtsamkeit oder Musikhören) gebeten, in einer aufrechten Position auf einem Stuhl oder auf einem Kissen ruhig zu sitzen und der geführten Achtsamkeitssitzung zu folgen oder Musik zu hören, für die gesamte Dauer der Sitzung. In der KG wurden die Teilnehmer gebeten, ihre tägliche Routine beizubehalten, aber keine Achtsamkeit zu üben oder Musik zu hören.
Box stellt klinische Fragen gegenüber was Achtsamkeitsmeditation naturheilkundlich bewirken kann
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Um langfristige kardiovaskuläre Effekte zu bewerten, haben die Autoren die Teilnehmer der 3 Gruppen gebeten, 2-tägige HRV-Messsitzungen vor und nach der Intervention durchzuführen. Dieser Versuchsaufbau sollte es ermöglichen, physiologische Effekte sowohl tagsüber als auch nachts (d.h. die Beurteilung der Schlafqualität) zu bewerten. Um kurzfristige kardiovaskuläre Effekte zu bewerten, haben sie die HRV in den 2 aktiven Interventionsgruppen während jeder der 10 täglichen Achtsamkeits- oder Musiksitzungen gemessen. Dies ermöglichte es, Effekte zu analysieren, die sich in der VG relativ zur KG-Musik in Bezug auf Änderungen der HRV im 10-tägigen Verlauf ergaben.
Außerdem wurde die Atemfrequenz gemessen und psychologische Assessments mithilfe von 3 Fragebögen durchgeführt – und zwar zu wahrgenommener Stressbelastung, Achtsamkeit und Schlafqualität.
 
Ergebnis
Die Untersucher fanden als kurzfristigen Effekt eine erhöhte HRV während der täglichen Übungsstunden sowohl in der VG als auch in der KG-Musik, was darauf hinweise, dass beide Interventionen zur Verringerung des akuten physiologischen Stresses wirksam waren. Weiterhin fanden sie als langfristigen Effekt sowohl tagsüber als auch nachts eine erhöhte HRV, was auf eine erhöhte Schlafqualität hinweist, und zwar insbesondere in der Achtsamkeitsgruppe. Die Autoren sehen dies als Beleg, dass kurze online-basierte Achtsamkeitsinterventionen einen positiven Einfluss auf die HRV haben.
 
Relevanz für die Naturheilkunde
„Für die Gesundheit ist Stress der gravierendste Risikofaktor des 21. Jahrhunderts“, so der renommierte deutsche Naturheilkundler Prof. Dr. Michalsen (2017). Die Risiken für Herzinfarkt und Schlaganfall, Tumor- und Immunerkrankungen Depression erhöhen sich mit steigendem Stresspegel. Wie schädlich die Stressbelastung ist, hängt ab von der Dauer, der Intensität, der Möglichkeit ihn zu kontrollieren und ob er subjektiv sinnvolle Gründe hat. Schlafstörungen sind oft ein wichtiger Anzeiger dafür, dass die Stressbelastung in den roten Bereich geht.
Die Stressreduktion ist ein relevantes Thema in der sog. Mind-Body-Medizin, einer Weiterenwicklung der Ordnungstherapie. Hier wird auch auf Meditations- bzw. Achtsamkeitsübungen zurückgegriffen. In diversen Studien konnten Hinweise gefunden werden, dass Achtsamkeitsübungen auch positive Effekte auf das kardiovaskuläre System haben. Mithilfe der Messung der Herzfrequenzvariabilität (HRV) kann das Zusammenspiel zwischen dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem beurteilt werden.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, als Alternative zu Präsenzangeboten auch online-basierte Angebote zur Verfügung zu haben. Die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) wird von den Krankenkassen als Leistung bezuschusst, wenn die Kursanbieter entsprechend qualifiziert sind. Das standardisierte Programm beinhaltet 8 wöchentliche Gruppeneinheiten von 2,5 bis 3 Stunden und ein ganztägiges Praxisseminar (Tag der Achtsamkeit).
 
Kommentar zur Studienqualität
Ein- und Ausschlusskriterien
Die Ein- und Ausschlusskriterien wurden genau genug spezifiziert: eingeschlossen wurden Erwachsene zwischen 21 und 60 Jahren, die einen Zugang zu einem Smartphone und ein Interesse an einer kostenlosen Stressreduktionsmaßnahme hatten.
Ausgeschlossen wurden Personen mit Erfahrung in der Achtsamkeitsmeditation, mit aktuellen psychiatrischen Erkrankungen oder der Einnahme von Psychopharmaka und die keinen Zugang zu einem Smartphone hatten.
 
Randomisierung und Verblindung
Die Zuordnung zu den 3 Gruppen erfolgte randomisiert, und zwar nach der Rekrutierung und vor Studienbeginn. Allerdings berichten die Autoren keine Details über die genaue Vorgehensweise.
Das Untersuchungsteam ist außerdem nicht formal verblindet worden. Die Art der Intervention machte eine Verblindung der Probanden nicht möglich.
Die Instruktionen der Probanden in den Gruppen wurden von Mitgliedern des Untersuchungsteams durchgeführt.
 
Vergleichbarkeit der Gruppen
Zu Beginn der Studie waren die Gruppen laut den Autoren bzgl. der wichtigsten prognostischen Indikatoren einander ähnlich: Bei den Fragebogendaten gab es vor der Intervention keine signifikanten Unterschiede zwischen den 3 Gruppen. Die Verteilung von Alter und Geschlecht war vergleichbar.
 
Dropout
Von mehr als 85 % der ursprünglich den Gruppen zugeordneten Probanden wurde zumindest ein zentrales Outcome gemessen: nur 9 Teilnehmer schieden aus, bei 99 Teilnehmern insgesamt. Die Autoren berichten allerdings nicht von einer Analyse der Daten nach der Intention to treat-Methode.
 
Intervention
Die Achtsamkeitsintervention wird relativ genau und nachvollziehbar beschrieben. Bei der Musikintervention wird allerdings  lediglich angegeben, dass es sich um Instrumentalmusik von verschiedenen Wiedergabelisten handelte. Hier wären Angaben zu der Art der Musik, wie zum Beispiel zum Takt, also den Schlägen pro Minute, nützlich gewesen.
 
Datenanalyse
Für das zentrale Outcome HRV wurden die Ergebnisse statistischer Gruppenvergleiche berichtet, sowohl Punkt- als auch Streuungsmaße wurden angegeben.
 
Praxis
Die Studie gibt Hinweise, dass mit relativ einfachen, natürlichen und nebenwirkungsarmen Mitteln Einfluss auf das Vegetativum genommen werden kann und Gesundheit und Wohlbefinden des Patienten verbessert werden können. Auch kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Stressbelastung und Schlafstörungen können anscheinend reduziert werden.
Auf dem Markt sind viele Apps, die auf der Achtsamkeitsmeditiation aufbauen:, u.a. Headspace, Calm und Balloon. Die Balloon-App wurde von deutschen Achtsamkeitsforschern entwickelt und die Übungen werden durch sie angeleitet (siehe auch das Interview S. 34ff).
Auch ganze Online-Achtsamkeitskurse mit Videoanleitungen, Texten usw., die den Nutzer durch ein mehrwöchiges Programm leiten, sind erhältlich. Ein Beispiel wäre die Einführung in die Achtsamkeitspraxis von Dr. Britta Hölzel.
Moderne Wearables bieten für Ärzt :innen und Patient:innen einfache und preiswerte Mögichkeiten, verschiedene Parameter zu tracken: Herzfrequenzvariabilität, Herzfrequenz, Schlafqualität usw.
 
Literatur
Michalsen A.: Heilen mit der Kraft der Natur. Insel Verlag Berlin, 2017.
Autor: Frank Aschoff; Redakteur NMD und N+P, Fachjournalist (Deutsches Journalistenkolleg), Cochrane Member, auf Medizinjournalismus spezialisiert. E-Mail: aschoff@gfi-online.de

 

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